Oder: Warum sich Vertrauen auszahlt

Immer wieder begegnen mir Situationen und Gespräche, die mich denken lassen, dass wir Menschen doch ein Leben lang auf der Suche sind. Auf der Suche nach der Wahrheit, auf der Suche nach der Liebe, auf der Suche nach Echtheit. Manchmal scheint es, dass wir unsere Antworten gefunden haben und dann wieder fallen wir raus und merken, irgendwie suchen wir noch immer und versuchen uns irgendwie so einzurichten, dass es sich wieder stimmig anfühlt in uns.
Was ist diese Sehnsucht, die uns immer wieder suchen lässt? Und warum fühlen wir uns auf der Suche so unfertig, so verletzlich, so wenig sicher? Die Yogaphilosophie hat darauf Antworten, die Gehirnforschung auch. Und eigentlich sind sich die beiden Ansätze sogar ziemlich ähnlich. Das überrascht eigentlich auch nicht, weil es beide am Ende Wissenschaften des Geistes sind, die sich damit beschäftigen, wie wir Menschen funktionieren.
Die Yogaphilosophie erklärt, dass wir, wenn wir auf diese Welt kommen und in einem Körper an einem bestimmten Ort der Welt in eine bestimmte Kultur und eine bestimmte Zeit hinein geboren werden, lernen, uns mit diesen äußeren und materiellen Rahmenbedingungen zu identifizieren. Es legen sich Schichten von Konditionierungen, Erfahrungen und Glaubenssätzen um unseren Kern herum und verschließen oft den Zugang zu unserem inneren Wissen darum, wer wir wirklich sind. Wir vergessen, dass wir ein Ausdruck von intelligenter Lebenskraft sind, die genauso den Naturgesetzen folgt, wie alles andere Lebendige auf dieser Welt auch.
Genau dasselbe sagt die Gehirnforschung. Wir versuchen uns, so gut wie möglich, an die Gegebenheiten, in die wir hineingeboren werden, anzupassen, damit wir dazugehören und geliebt werden. Das ist als Kleinkind überlebenswichtig und unser Gehirn programmiert passende Überlebenstrategien dazu. Später als Erwachsene kann uns diese Erfahrung und dieses Bestreben aber abschneiden von unseren wahren Bedürfnissen und Entfaltungsmöglichkeiten. Wir halten uns klein und angepasst, um die Liebe nicht zu verlieren, von der wir glauben, dass wir sie zum Überleben brauchen.
Aber was für eine Art Liebe ist das? Der Gehirnforscher Gerald Hüther definiert in seinem Lehrgang zum Potentialentfaltungscoach Liebe folgendermaßen: Liebe ist das unbedingte Interesse an der Entfaltung des Anderen.
Was bedeutet das? Nun, zunächst verstehe ich das so, dass es ein Grundbedürfnis des Menschen ist, sich entfalten zu dürfen und zu können. Und zwar nicht so, wie sich das die Familie oder die Gesellschaft oder der Zeitgeist gerade vorstellen, sondern so, wie es in diesem speziellen Menschen von der Natur aus angelegt ist. Das erinnert wieder an den Ansatz aus der Yogaphilosophie, die sagt, wir sind unterschiedlicher und einzigartiger Ausdruck von einer einzigen intelligenten Lebenskraft.
Es ist unsere Aufgabe herauszufinden, welche Geschenke wir von dieser Lebenskraft (die in verschiedenen Kulturen ganz unterschiedliche Bezeichnungen bekommen kann) mitbekommen haben. Welche Potentiale schlummern in mir, welche Talente möchten sich zeigen, welche Aufgaben erwarten mich, welche Wege öffnen sich mir, wenn ich mich getraue hinzuschauen?
Wenn ich nun in einem Umfeld lebe, in dem es Menschen gibt, die mir bedingungslos wohlgesonnen sind, die verstehen, dass wir es so viel schöner haben könnten, wenn wir uns gegenseitig stärken und anfeuern, anstatt uns gegenseitig unsere Vorstellungen überzustülpen, in Konkurrenz zueinander zu sein und uns klein zu halten, dann wird es erst wahrscheinlich, dass ich an den Kern meiner Begabungen und Bestimmungen herankomme.
Dann kann es möglich sein, dass ich meine bisherigen, vielleicht auch schmerzlichen Erfahrungen von Trennung, Ausgrenzung und Liebesentzug ein Stück weit hinter mir lassen und neue Erfahrungen machen kann. Wenn das passiert, stärkt sich mein Vertrauen. Das Vertrauen in mich selbst, meinen Wert und meinen Weg, das Vertrauen in meine Gemeinschaft und prinzipiell in das Wohlwollen der anderen Menschen und das Vertrauen in das Leben und eine höhere Kraft, die mich führt. Wenn ich so gehalten sein kann – in Verbindung mit mir selbst, in Verbindung mit anderen und eingebettet in das große ganze lebendige Netzwerk, dann habe ich keine Angst mehr vor Mangel. Ich beginne zu ahnen, dass es gar keinen Mangel geben kann in einer Welt, die von Lebenskraft durchflutet ist.
Was uns Mangelerfahrungen gibt, sind unsere Denkmuster, unsere Kategorien, die wir über alles drüberlegen, unser Glauben, dass wir bewerten können, was gut und schlecht, was richtig und falsch, was angebracht und unangebracht ist. Der Mangel kommt von Systemen, die wir Menschen über Jahrhunderte aufgebaut haben, in denen es Konzepte, wie Hierarchie und Macht gibt, in denen manche Menschen wichtiger und richtiger sind als andere und in denen der Mensch sich über die Natur stellt anstatt zu begreifen, dass wir als Menschen eingebunden und Teil der Natur sind und Verantwortung haben.
Solche verschobenen Machtverhältnisse finden wir in den meisten Kulturen der heutigen Zeit – patriarchale Strukturen, kapitalistische Strukturen, Institutionen und Religionen.
Daher ist es auch nicht immer ganz so einfach den eigenen Weg zu finden. Wir sind natürlich beeinflusst von dem, was wir um uns herum wahrnehmen und erleben. Wir sind in diesen Systemen aufgewachsen, wir sind (zumindest gefühlt) abhängig von diesen Systemen und Institutionen und tragen ein Stück weit auch dazu bei, dass sie erhalten bleiben – einfach, weil wir es (noch) nicht besser wissen. Wenn wir uns ausklinken wollen, permanent im Widerstand sind, stehen wir oft sehr alleine da und verlieren zu einem Großteil auch unsere Wirkkraft.
Wieder darf hier das Vertrauen ins Spiel kommen. Wenn ich gut mit mir verbunden bin und Herzensmenschen in meinem Leben habe, denen ich vertraue, dann kann ich auch innerhalb von den Systemen, in denen ich lebe, meinen authentischen Beitrag einbringen. Ohne Druck, mit viel Wohlwollen und Kreativität.
Je mehr Menschen zurück finden zu einem tragenden Urvertrauen, zu einem wohlwollenden Menschen- und Weltbild, je mehr Menschen die unendlichen Möglichkeiten und die Schönheiten sehen können, desto mehr Menschen werden die Chance bekommen, sich wiederum aus ihren schmerzlichen, einengenden Verwicklungen heraus zu entwickeln und sich, so wie es die Natur vorsieht, in ihr volles Potential hinein entfalten.
Es gibt so viele Möglichkeiten uns gegenseitig dabei zu unterstützen wieder mehr ins Vertrauen zu kommen. Wir können uns gegenseitig zuhören und versuchen wirklich zu verstehen, was uns anvertraut wird. Wir können neugierig und offen sein für die Geschichten, die Wünsche und Bedürfnisse der anderen. Und wir dürfen uns selbst den Raum geben in Verbindung mit unserer Geschichte, unseren Wünschen und unseren Bedürfnissen zu sein und darauf vertrauen, dass die anderen Menschen und das Leben an sich ein unbedingtes Interesse an unserer Entfaltung haben.
Ich finde es unendlich spannend mich mit dieser Vorstellung zu verbinden und zu erspüren, welches Potential darin liegt, wenn wir uns, den Tieren und der Natur immer mehr mit dieser Haltung begegnen. Wie viel liebevoller und kraftvoller kann unsere Welt dadurch werden? Ich fühle mich inspiriert und hoffnungsvoll, wenn ich mich mit diesem Bild von Liebe, Vertrauen und Entfaltung verbinde.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen gute Begegnungen, gute Erfahrungen und stärkende Weggefährt*innen.
Alles Liebe
Martina
Wenn du gerne noch mehr in dieses Thema eintauchen möchtest, gibt es am Freitag, 25.10. einen Vormittagsworkshop mit dem Titel „Dein Leben – Dein Weg“ im Yoga Shiatsu Zentrum Meran.
Sei herzlich eingeladen, wenn du in einer kleinen Gruppe weiter forschen möchtest, was dir dein Leben zeigen möchte und welcher Weg deiner ist. Alleine drehen wir uns oft mit unseren Gedanken dazu im Kreis, im Austausch mit anderen bekommen wir Zugang zu der kollektiven Weisheit der Gruppe. Ich werde den Vormittag nach den Prinzipien des Art of Hosting (der Kunst des Gastgebens) gestalten und mit einer Haltung von Offenheit, Wohlwollen und Neugierde da sein. Ich freue mich, wenn du dabei sein möchtest.
Melde dich gerne: Martina, 338 4511627
Mehr lesen: www.yszm.it/seminare
PS: Mein Verständnis der Lebensthemen ist subjektiv. Dieser Text ist hauptsächlich gefärbt von meinen Studien der Yogaphilosophie (vor allem der Himalaya Tradition – mit meinen Lehrer*innen der Aus- und Fortbildungen in Florenz und Meran), der Ausbildung zum Potentialentfaltungscoach nach Gerald Hüther und den Erfahrungen, Begegnungen und Einsichten auf meinem ganz persönlichen Weg durchs Leben an verschiedenen Orten und in verschiedenen Kulturen.
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