Oder: Wie finden wir den Weg der Leichtigkeit?

Im Jahreszyklus ist der Januar der Monat, der uns einlädt dem alten Jahr nachzuspüren, aufzuräumen, Platz zu schaffen, die Dinge langsam anzugehen, zu ruhen und zu regenerieren. Die ersten Tage des Jahres habe ich das gut geschafft und ich bin nach der Weihnachtspause mit vollem Elan, mit Leichtigkeit und Freude in die Arbeit zurückgekommen.
Jetzt, drei Wochen später, bin ich müde. Mein Zyklus beginnt sich umzubauen und braucht viel Zuwendung. Ich brauche immer wieder Rückzugstage zum Verdauen und Integrieren. In den letzten Wochen gab es gefühlt viel zu wenig davon. Gestern bin ich Früh Morgens auf mein Fahrrad gestiegen und schwungvoll Richtung Schule gefahren. In der ersten Kurve ist das Rad auf dem Eis weggerutscht und ich bin auf der Straße gelandet – wieder einmal. Das letzte Mal, als mir das passiert ist, habe ich mich ordentlich verletzt. Dieses Mal ist es glimpflich ausgegangen. Aber sofort habe ich wieder gespürt: „Du bist zu schnell unterwegs.“
Und damit meine ich nicht die Geschwindigkeit auf dem Fahrrad. Das Leben zeigt mir, dass ich, wenn ich mich überfordere – mit Aktivitäten, mit Rhythmen, mit Verantwortungen – ausgebremst werde und auf die Nase falle. Wie gesagt, dieses Mal, ist es glimpflich ausgegangen: ein leicht gestauchtes Handgelenk, ein angestoßener Zeigefinger und ein geschürftes Knie. Aber innerlich fühle ich mich verletzt, irritiert und ein wenig traurig.
Ich sitze nun hier und überlege. Warum habe ich es nicht geschafft diesen Januar so zu gestalten, dass er der Zeitqualität entspricht? Warum richte ich mir mein Leben so ein, dass es zu viel wird, dass ich müde werde und von Außen gebremst werden muss? Vielleicht wollte dieser Januar mir noch einmal aufzeigen, wie ich mich in der Vergangenheit in die Erschöpfung gebracht habe und mich sehr intensiv alte Muster und Emotionen spüren lassen. Ich versuche hinzuschauen und zuzuhören.
Letztes Wochenende war ich in Basel bei der Abschlussveranstaltung zur Ausbildung zum Potentialentfaltungscoach nach Gerald Hüther. Gerald Hüther selbst, war krankheitsbedingt leider nicht dabei. Dafür ist sein Freund und Weggefährte André Stern als Überraschungsgast für ihn eingesprungen und hat uns einen Tag lang mit seinen Erfahrungen und Erzählungen begleitet.
„Die Suche nach der Leichtigkeit ist eine Tugend“, hat er gesagt, „Wenn der Weg, den du gehst, schwer für dich ist, ist es nicht dein Weg.“ Kinder suchen immer den leichtesten Weg und das dürfen wir uns auch als Erwachsene bewahren – schließlich bleiben wir immer ein Stück weit Kinder.
André Stern hat eine Kindheit erlebt, die anders war, als die Kindheit der meisten Menschen in unseren Breitengraden. Er hat in einer Familie gelebt, in der Kinder nie beim Spielen und beim Schlafen unterbrochen wurden. Er und seine Geschwister sind nie zur Schule gegangen, die Eltern hatten das bedingungslose Vertrauen, dass sie sich ganz natürlich, gemäß der in ihnen angelegten Potentiale und Talente wunderbar entfalten würden ohne von Außen in eine Form gepresst zu werden. Sie hatten zu Hause eine Umgebung, in der sie spielen, forschen und lernen durften, so wie es ihnen entsprach.
Gerald Hüther sagt dazu, dass sich alles, was lebendig ist, entfalten will. Das kann man nicht machen, das muss man zulassen. In diesem Sinne entspricht die Erfahrung von André Stern einer perfekten Potentialentfaltungsumgebung. Eine Umgebung, die getragen ist von Liebe, Wohlwollen und Vertrauen der Erwachsenen. Eine Umgebung, die Lebendigkeit und Wachstum auf ganz natürliche Weise einlädt.
Auf unsere Fragen, wie wir denn als Erwachsene, die nicht in einer solch freien und spielerischen Umgebung aufgewachsen sind, wieder in so einen natürlichen Zustand von Entfaltung zurückkommen können, war die Antwort immer wieder: „Ich habe keine Ahnung. Aber ich begrüße deine Sehnsucht.“ Damit wollte er uns wohl sagen, dass nur wir wissen, was wir gerade jetzt brauchen, um unsere Leichtigkeit und das Vertrauen in unsere eigene Entwicklung und Entfaltung wiederzufinden. Jede*r von uns hat unterschiedliche Erfahrungen im Laufe des Lebens gemacht, jede*r von uns hat andere Strategien gelernt, Muster entwickelt und sich vielleicht auch verwickelt darin. Lösungen dafür können immer nur von innen kommen. Die Einladung ist, mit der Sehnsucht verbunden zu bleiben und auf die innere Weisheit, das Wohlwollen unseres Umfeldes und des Lebens zu vertrauen. Es ist eine Einladung uns zu trauen, hinzuschauen, was uns ausbremst, was uns schwer und müde macht und einen leichteren Weg zu suchen.
Ich habe gerade auch keine Ahnung, wie mein leichterer Weg aussehen könnte. Aber ich bleibe mit der Sehnsucht verbunden. Und kultiviere Vertrauen. Ich vertraue darauf, dass dieser Januar mir den Weg zeigen möchte und, dass jetzt die Zeit kommt, in der ich mich, um etwas zartes Neues kümmern darf, das in diesem Jahr wachsen möchte. Etwas, von dem ich noch nicht so klar weiß, was es ist, ich aber erahnen kann, dass es heilsam sein möchte.
Im Februar werde ich 50 Jahre alt, ein halbes Jahrhundert bin ich schon auf dieser Erde. Mehr denn je, möchte ich mit dem Kind in mir in Kontakt sein und es einladen mich zu führen mit spielerischer Weisheit und Leichtigkeit in die zweite Hälfte des Lebensjahrhunderts, das noch vor mir liegt.
André Stern sagt „Kinder sind Potentialbomben und sie können alles werden, was sie werden möchten.“ Wir alle tragen ein Leben lang dieses Kind, das wir mal waren in uns und daher können auch wir alles werden, was wir werden möchten. Wenn wir es zulassen und ins bedingungslose Vertrauen finden.
Am Samstag eröffne ich wieder einen Jahreskreis. Der erste Februar ist traditionell das Fest von Lichtmess und in der keltischen Tradition Imbolc. Es lädt einen neuen Wachstumszyklus in der Natur, an den Höfen, in den Menschen ein. Die Samen beginnen zu spüren, dass das Licht wächst und wärmer wird, dass Wasser zu ihnen durchsickert, wenn der Boden nicht mehr ganz so gefroren ist und sie richten sich darauf aus, aufzubrechen und ihren Weg ins Licht zu finden.
Vielleicht gibt es auch in dir Samen, die sich gerade bereit machen. Vielleicht spürst du das ohne genau zu wissen, welche Samen in dir gerade aufgehen möchten. Vielleicht ist es dir aber auch ganz klar und du hast Lust, dich in einen Kreis zu setzen, zu erzählen und zu bezeugen. Es wächst sich leichter in Gemeinschaft.
Sei herzlich eingeladen.
Jahreskreis: das zarte Neue erwacht
Samstag, 01.02. von 09.30 – 12.30 Uhr / 45€
Infos und Anmeldungen: Martina, 338 4511627
Alles Liebe
Martina
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