Oder wie wir heilsame Räume für unser Herz schaffen können
In den letzten Wochen war ich oft rastlos, unruhig, ungeduldig, genervt, manchmal auch resigniert und hoffnungslos. Ich konnte nicht ganz fassen, was mich denn so aus der Bahn wirft, ich konnte nur spüren, etwas ist da gerade überhaupt nicht in Balance, ich bin unsicher und zweifle an Allem, was ich mache und erlebe. Ich habe versucht diese Unruhe mit Aktivität zu besänftigen, habe viel gearbeitet und mir nicht genug Zeit genommen mich auszuruhen und in der Natur zu sein, um Aufzutanken.
Gleichzeitig hatte ich aber auch schon so eine Ahnung, dass das ein Signal meines Unterbewusstseins ist, dass es mir etwas sagen möchte, dass etwas ins Bewusstsein kommen möchte, dass etwas sichtbar werden möchte. Ich habe versucht offen zu bleiben, zu beobachten, zu spüren. Ich habe versucht in Verbindung zu gehen.
Und heute ist der Impuls zum Schreiben gekommen – bei mir ein Zeichen, dass sich was löst, dass etwas raus in die Welt will. Etwas, das sich über die letzten Wochen durch verschiedene Impulse – zum Teil wunderbare Impulse – geformt und gestärkt hat.
In den letzten 2 Wochen gab es den jährlichen Online Summit der Pioneers of Change. Sie sind für mich gefühlt immer sehr nah dran an den Themen, die gerade auf individueller und vor allem auf gesellschaftlicher Ebene wichtig sind und gesehen werden wollen. Dieses Mal ging es um das Thema Brücken bauen. Kurz vor dem Start des Summits, hat der Krieg zwischen Russland und Ukraine begonnen und die Pioneers haben daran gedacht den Summit aus Respekt vor der Situation nicht abzuhalten. Zum Glück haben sie sich dafür entschieden, dass gerade in einer solchen Zeit, ihre Arbeit Gold wert ist und die Interviews mit den Impulsgebern vielen Menschen Mut machen können. Und ein neues Verständnis schaffen können.
Ich hatte leider noch nicht die Zeit mir alle Interviews anzuschauen, aber wie so oft scheint es, dass die, die ich mir ausgesucht habe, die sind, die ich hören sollte. Ich bin zum ersten Mal tiefer in Berührung gekommen damit, was der Begriff Trauma eigentlich bedeutet und wie sich Traumata in uns als Individuen, in unserer Ahnenreihe und eben auch auf kollektiver, gesellschaftlicher Ebene manifestieren können.
Ein Trauma ist eine Erfahrung, die gemacht wird, aber nicht verarbeitet werden kann, weil sie eine Überforderung darstellt. Was dann passiert ist ein intelligenter Prozess des Nervensystems – es spaltet die Erfahrung ab, friert sie sozusagen ein und speichert sie irgendwo im Körper und im Unterbewusstsein. So können wir überleben. Was aber auch passiert, ist dass diese eingefrorenen Teile in uns nicht mehr in Beziehung gehen können, wir können sie nicht mehr spüren, manchmal können wir uns nicht einmal mehr an die Erfahrung erinnern. Und dann passieren vielleicht Dinge, die in Berührung kommen mit unserem Trauma und wir reagieren auf unerklärliche Weise – entweder mit großem, emotionalem Stress oder kompletter Gefühlslosigkeit. Und wir verstehen gar nicht warum, wir suchen die Erklärung in der aktuellen Situation und finden keine Antwort. Weil uns nicht bewusst ist, dass das, was da aus dem Unterbewusstsein wirkt unsere abgekapselte, eingefrorene traumatische Erfahrung ist.
Bisher dachte ich, Traumata haben nur Menschen, die wirklich Furchtbares erlebt haben. Inzwischen verstehe ich, dass wir alle mehr oder weniger in unserem Leben Erfahrungen gemacht haben, die wir nicht richtig verarbeiten und heilen konnten. Ich verstehe, dass traumatische Erfahrungen über Generationen weitergegeben werden und sie ganze Kulturen betreffen können. Das erklärt mir zum Beispiel, warum es unvermeidlich ist, dass mein Mann, der aus dem Senegal stammt, und ich als in Europa Geborene, Konflikte haben werden. Da liegt so viel in unserer kollektiven Geschichte, das noch lange nicht geheilt ist. Gleichzeitig kommen wir aus Familien, in denen unverarbeitete Themen in der Ahnenreihe uns noch berühren und wir haben beide unsere individuellen Geschichten, die wohl auch einige eingefrorene Stellen mit sich gebracht haben.
Mit diesem Verständnis kann ich ganz neu auf meine privaten Beziehungen schauen, aber eben auch auf die Dinge, die gerade sonst in der Welt passieren – Konflikte, Kriege, Machtkämpfe, Polarisierung, Existenzängste, Mangel – das sind alles Symptome von nicht verarbeiteten Traumata. Und da hilft es gar nichts mit Gewalt und Druck dagegen halten zu wollen, das wird das Eis nicht schmelzen. Weder in einzelnen Menschen, noch in einer Gesellschaft.
Was können wir also tun?
Was ich gehört habe und was bis in jede Zelle in mir in Resonanz geht, ist, dass wir heilsame Räume schaffen müssen. Räume, in denen Menschen sich sicher fühlen können. Das gilt für Menschen, die, wie jetzt gerade viele Menschen in der Welt, tatsächlich auf der Flucht vor Krieg und Gewalt sind, aber auch für Menschen, die aus anderen Gründen ihr Herz verschließen mussten und sich nicht sicher fühlen in sich selbst. Und so wie ich das heute verstehe, sind wir das wohl mehr oder weniger alle.
Wenn wir Räume schaffen, in denen wir sicher sind, in denen wir nicht alleine sind, in denen wir einfach sein dürfen, uns begegnen dürfen und spüren, wir sind wohlwollend willkommen, ganz egal mit welcher Geschichte wir da sind, dann ist ganz viel möglich. Dann wird unser Nervensystem ruhig und erlaubt es uns, ganz achtsam ein wenig „Trauma-Eis“ zu schmelzen. Wir dürfen uns wieder getrauen zu fühlen und zu spüren, wir finden vielleicht das Bewusstsein und Worte dafür, was uns in den Zustand der Abspaltung gebracht hat, wir dürfen wieder heil werden, in Verbindung und Beziehung sein. Ohne Angst und ohne Urteil.
Ich bin gefühlt (noch) keine Expertin für dieses Thema, aber ich spüre eine riesengroße Sehnsucht nach genau solchen Räumen. Ich kann sehen, dass alles, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, genau von dieser Sehnsucht gelenkt wurde.
Die Arbeit im Yoga Shiatsu Zentrum Meran geht in diese Richtung. Wir schaffen Räume, in denen Menschen sich selbst und anderen achtsam begegnen und wieder ins Spüren kommen können. Auf Körperebene, auf der Ebene des Geistes und vor allem in Verbindung mit ihrem Herzen. Mein Wunsch in Afrika einen Ort und einen Garten für Begegnung mit sich selbst, mit Menschen über die Kulturen hinweg und mit der wunderbaren Natur auf unserem Planeten entstehen zu lassen, kommt aus dieser selben tiefen Sehnsucht nach Heilung. Ich verstehe noch einmal tiefer, was mich da so bewegt in meinem Tun und Hoffen gerade.
Und auch, wenn ich mich manchmal hoffnungslos und resigniert fühle, weil es so schwierig ist, mit mir selbst in Verbindung zu bleiben und einzuordnen, was mir im Außen so alles begegnet, kann ich heute sehen, wie viele Menschen mit genau derselben Sehnsucht unterwegs sind. Auf vielfältigste Weise, auf großen kollektiven Plattformen, aber eben auch in vermeintlich ganz kleinen, zum Teil auch privaten Schauplätzen, die aber nicht minder wertvoll sind.
Ich sehe Menschen, die gerne für andere liebevoll ein Essen zubereiten, damit sie nicht alleine essen müssen. Ich sehe Menschen, die sich auf eine Bank, in ein Café oder einen virtuellen Raum setzen und einem anderen Menschen einfach zuhören. Ich sehe Menschen, die einladen gemeinsam in einem Garten zu arbeiten. Ich sehe Menschen, die sich Zeit nehmen, anderen ganz achtsam auf Körperebene zu begegnen – mit einer Massage, mit einer Umarmung. Ich sehe Menschen, die zum gemeinsamen Singen, Tanzen oder Malen einladen. Ich sehe Menschen, die andere Menschen befähigen, sich auch ihre Schattenseiten liebevoll anzusehen. Ich sehe Menschen, die nach den guten Geschichten suchen. Ich sehe Menschen, die begeistert und bestärkend sind, wenn andere sich mutig auf ihren Weg machen.
Und während ich so schreibe, wird mir bewusst, dass ich mich ein bisschen auch selbst sehe in all diesen Menschen.
Gestern habe ich noch einen Impuls gehört bei einem Video, in dem es um unser Recht auf einen Zustand in Fülle ging: „Mach dein Herz zu deinem Navigator – das ist das Instrument der neuen Zeit“.
Oh, wie sehr wünsche ich mir, dass das Eis um unsere Herzen schmelzen darf und wir den Botschaften unserer Herzen wirklich wie einem Navigator folgen können.
Dafür werde ich weiter gehen, arbeiten, hoffen und sein.
Alles Liebe
Martina
Die Quellen für diesen Artikel:
Pioneers of Change – Online Summit 2022: Die Interviews von Kosha Joubert, Tania Singer, Daniel Auf der Mauer, Michaela Krömer, Thomas Hübl
Sigrid Monika Reutter, “The lovely wealthy CEO community” mit dem ZItat “Mach dein Herz zu deinem Navigator”
Alle jene Menschen in meinem Umfeld, die aus Herzensüberzeugung ihren Weg gehen und sich nicht davon abbringen lassen. Danke! :-)
Comments