Oder: Ich bin auf dem Weg nach Hause
Ich sitze in Casablanca in einem Flughafencafè mit einem pain au chocolat und einem langen Espresso. Noch sehe ich die Menschen, die mit mir im Flug von Dakar hier her im gleichen Flieger waren, doch bald werden alle ihre Wege gehen und das Gefühl von Westafrika wird verblassen.
Ich bin auf dem Weg nach Hause. Und habe dafür ein anderes Zuhause verlassen. Das Abschied Nehmen ist niemals leicht. Jedes Mal anders, jedes Mal neu und jedes Mal wieder intensiv. Wehmut darüber, dass John (noch) nicht einfach mitkommen kann, die Aussicht auf Monate ohne seine Wärme, das Zurücklassen von einem Leben, das ich inzwischen immer mehr kenne und liebe. Unsere gemeinsamen Projekte, Johns Haus, seine Freunde, seine Familie, die Hunde.
Und doch ist da große Dankbarkeit. Ich habe die letzten drei Monate so frei leben dürfen wie kaum sonst jemand in meinem Bekanntenkreis. In Casamance wird das Virus zur Kenntnis genommen, für viele ist es aber nicht Realität, weil sie niemanden kennen, der/die daran erkrankt ist. Die Menschen haben keine Angst, sie fühlen sich frei, sie leben ihr Leben weiter. „Wir können uns nicht blockieren lassen, das kostet die Menschen hier ihre Grundexistenz“, erklären sie mir immer wieder. Schlimm genug, dass es dieses Jahr kaum Gäste gibt. Einreise aus Tourismusgründen ist gerade nicht möglich.
Ich habe Glück gehabt. Ich habe letztes Jahr ein Stück Land gekauft, auf dem ich mit John und einigen Menschen aus Niafrang einen Garten und ein erstes, kleines Gäste Häuschen angelegt habe. Das war für die Autoritäten Grund genug mich einreisen zu lassen. Dafür bin ich unendlich dankbar. Es hat mir erlaubt tiefer in die Beziehung mit John und dem Leben in Niafrang einzutauchen. Ich hatte keine europäischen Inseln zum Untertauchen, was in manchen Augenblicken auch hart für mich war, aber heute sitze ich hier in Casablanca und bin auch ein bisschen stolz auf mich. Ich fühle mich unverschämt glücklich, dass ich die letzten Monate so leben durfte. Ich war gesund, so gesund wie noch nie vorher auf meinen Reisen.
Ich bin eingetaucht in das lokale Leben, in das lokale Denken, in eine Weltsicht, von der ich so viel lernen kann, über die ich staunen kann, die mich manchmal verängstigt und manchmal beflügelt. Ich habe die Gelegenheit gehabt zu sehen wie die Menschen gleichzeitig stark verbunden mit ihrer Natur und Kultur sind und doch von „europäischen Wohlstand und Entwicklung“ für ihre Region träumen.
Ich verstehe die Menschen. Das Leben im Busch kann hart sein. Alles muss mit Muskelkraft erarbeitet werden, es gibt wenig Maschinen, die Natur nimmt sich ihren Platz und zeigt ihre Stärke im Vergleich zur Menschenkraft, die nicht viel ausrichten kann, wenn die Natur tobt. Durch Wasser, Feuer, Tiere und die Wachstumskraft der Pflanzen. Die Natur ist übermächtig. Die Menschen wünschen sich stabile Häuser, gute Straßen, Unterstützung durch Werkzeug und Maschinen. Sie wissen nicht, dass diese Lebensweise sie unendlich resilienter sein lässt, als wir es in Europa mit unserer Lebensweise sein können. All das habe ich spüren dürfen, all das habe ich integrieren dürfen, in meine Sehnsucht mehr naturverbunden zu leben, mehr Nachhaltigkeit zu erleben, Permakultur zu lernen. Manchmal hätten mich die Menschen in Niafrang mit meinen idealisierten Vorstellungen wohl sehr gerne auf den Mond geschickt.
Und doch genau diese Reibungspunkte erlauben es uns voneinander zu lernen. Wenn wir es schaffen uns nicht vom Frust davon tragen zu lassen, wenn wir offen bleiben für die Sichtweise und Bedürfnisse des anderen, dann können wir Schrittchen für Schrittchen aufeinander zugehen und erspüren, wie es funktionieren könnte, dass die Natur und Kultur bewahrt bleiben dürfen und es trotzdem Erleichterung und gefühlten Fortschritt geben kann.
Die Menschen in Niafrang wissen zum Teil gar nicht, welchen Schatz sie in sich und mit sich tragen. Ich fühle mich geehrt, dass ich ein kleines Stückchen davon kennen lernen darf. Das ist nicht selbstverständlich und auf Grund der Geschichte, wäre es mehr als verständlich, wenn die Menschen uns Europäer gar nicht mehr dort haben wollten. Die Beziehungen sind delikat, es bedarf ganz viel Feingefühl und trotzdem, trete zumindest ich, immer wieder ins Fettnäpfchen, bin superschlau und überfahre die Menschen mit meiner privilegierten Weltsicht und meinen Zeit- und Zielvorstellungen. Und doch akzeptieren mich die Menschen, trotzdem darf ich da bleiben, trotzdem darf ich meine Träume leben.
Ich wünsche mir eine Welt, in der es auch umgekehrt für die Menschen aus dem afrikanischen Kontinent, die es sich wünschen, leichter möglich sein kann, Erfahrungen in anderen Kulturkreisen zu machen ohne dafür als Flüchtlinge illegal irgendwo hin reisen zu müssen, ohne Diskriminierung erleben zu müssen, mit derselben Neugierde wie ich zu ihnen reise. Und mit der Freiheit jederzeit auch wieder nach Hause reisen zu dürfen.
Und so reise ich wieder nach Hause. Ich freue mich auf meine Familie und meine Freunde. Ich freue mich darauf kreativ sein zu dürfen. Und ich hoffe, wir dürfen wieder arbeiten, zusammen sein und weiter an unseren Träumen und Visionen arbeiten. Ich hoffe, Menschen, die gerade verzweifelt und müde von den Auswirkungen des Virus sind, dürfen wieder Kraft tanken, heilen, tief aufatmen.
Ich möchte ein bisschen von der Sonne, dem Meer, dem Wind, dem Feuer, dem Horizont die ich gerade so präsent in mir trage, weitergeben. Ich möchte weiter an den Brücken bauen zwischen der unbändigen Kraft, die ich spüre, wenn ich in Niafrang bin, mit John zusammen bin, den Rhythmus, den ich dort leben darf und dem Potential, das ich in Meran und Europa erspüren kann. Ich weiß gar nicht so ganz genau wie ich das in Worte fassen kann, es geht für mich wohl darum das alte Ahnenwissen, diese starke Urkraft irgendwie greifbar und für unsere Gesellschaft und unsere Zeit zugänglich zu machen. Vielleicht kann ich letztlich aber auch nur an meiner eigenen Kraft und Freude arbeiten. Ich bin gespannt auf die nächsten Monate und darauf was das Leben mit uns und mir vor hat.
Ich freue mich darauf. Und ich freue mich jetzt schon darauf John wieder zu sehen. Nach dem Abschied ist vor dem Wiedersehen. 😊 Und bekanntlich ist die Vorfreude die schönste Freude. Auf das Leben und die Lebendigkeit.
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